Die Entscheidung

 

„Dieser verdammte Regen.“ Seit Tagen hatte Mateo keinen Fuß vor die Tür gesetzt. Ein Blick in den Spiegel ließ ihn schief grinsen. Mit seinen 1,65m bei hundert Kilo Gewicht war er sowieso keine Schönheit. Der Dreitagebart, die ungewaschenen schulterlangen Haare und die speckigen Klamotten machten die Sache nicht besser. Mateo sah aus wie der Inbegriff eines drittklassigen Kriminellen.

„Zeit, sich frisch zu machen.“ Ein tiefer Schluck aus dem Flachmann, dann wollte er los. Nur bei genauem Hinsehen konnte man erkennen, dass Mateo nicht trank. Er spülte sich nur den Mund aus.

Von der Couch erklang das Schnarchen eines riesigen Hundes. „Ciao, Cato, bis später.“ Mateo tätschelte dem Hund den dicken Kopf, dann verließ er das Haus. Nach wenigen Metern lief ihm das Wasser in die Schuhe. „Verfluchtes Deutschland! Gibt es denn hier überhaupt keine Sonne?“

Mateos größter Wunsch war die Rückkehr nach Italien. Nur, so einfach war das nicht. Seit er bei einer Schlägerei zu fest zugeschlagen hatte, befand er sich in den Fängen der deutschen Polizei. Er wanderte nicht ins Gefängnis, dafür musste er als V- Mann bei der Mafia ran. Er war immer erfolgreich, aber nur, weil ihn mit dem Dortmunder Paten „Silvio“ eine alte Freundschaft verband.

Mateo steuerte auf die magentafarbene Telefonzelle zu. Bedächtig nahm er den Hörer ab und wählte eine Dortmunder Nummer. „Ciao Silvio … ja, 30 Grad … den ganzen Tag Sonne … du weißt ja, Spanien … ja, danke … denk an das Geld … bis Freitag.“

Als Mateo die Telefonzelle verließ, schaute ihn die Frau, die vor der Zelle gewartet hatte, kopfschüttelnd an. „30 Grad, den ganzen Tag Sonne“, flüsterte sie.

Mateo war es egal. Das Telefonat gehörte zur Absprache mit Silvio. Nur, diesmal sollte es sein letzter Job sein. Er wusste nur noch nicht, wie er das anstellen sollte. Grübelnd schlenderte er zurück zu seiner Wohnung. Als er das Zimmer betrat, legte ihm sein Hund freudig die Pfoten auf die Schultern und leckte ihm durchs Gesicht. Dabei überragte er seinen Herrn um mehr als einen Kopf. „Cato, du bist das Einzige, was ich aus diesem verfluchten Land mit nach Hause nehme.“ Genau genommen war der riesige Germanische Bärenhund sein einziger Gesprächspartner. Mateo war sich sicher, dass der Hund inzwischen perfekt Italienisch verstand.

Am Donnerstag holte Mateo ein Päckchen von Silvios Kontaktmann in Dortmund ab. Silvio beteiligte sich nie persönlich an den Geschäften. Bislang konnte ihm die deutsche Polizei noch nie etwas nachweisen. Umso verbissener waren sie hinter ihm her. Mateo wusste, das Päckchen enthielt eine viertel Million Euro für die Sizilianer, die Freitag mit der Ware kamen.

Lange schaute er sich das Päckchen an. Dann hatte er sich entschieden.

Mateo stieg in seinen rostigen alten Fiat und steuerte eine Telefonzelle an. Von dort aus informierte er seinen Kontakt bei der Polizei über den Deal, der Freitag laufen sollte. Und diesmal erzählte er ihnen auch alles, was nötig war, um Silvio festzunageln.

Wenn die Polizei ihre Arbeit richtig machte, würde sie alle aus den Verkehr ziehen, die Mateo gefährlich werden könnten.

Zurück in seiner Wohnung, packte er seinen Koffer und trank in aller Ruhe einen letzten Cappuccino. Dann griff er zur Türklinke. „Cato, lass uns los. Dann haben wir einen schönen Vorsprung.“

In diesem Moment wurde die Tür mit aller Macht von außen aufgedrückt. „Hey, was soll das?“ Noch bevor Mateo ausgesprochen hatte, hämmerte ihm sein Gegenüber einen Pistolenlauf ins Gesicht. „Du willst Silvio abziehn? Anfänger!“ Bei jedem Wort schlug ihm der Fremde die Faust in den Bauch. „Wie kommste denn darauf?“, keuchte Mateo.

„Bist verwanzt“, grinste der Fremde.

„Verdammt, wo ist der blöde Köter, wenn man ihn braucht?“, dachte Mateo verzweifelt. Der Fremde holte weit mit seiner Waffe aus, um Mateo den Schädel zu zertrümmern. „Für dich ist jede Kugel zu schade“, meinte er noch. Als sein Arm ganz gestreckt war, hechtete ein Schatten durch das Zimmer. Messerscharfe Zähne gruben sich in den Arm des Fremden. „Ah, verdammt!“ Schreiend ließ er die Waffe fallen. Schon war der Hund wieder weg. „Halt mir deinen scheiß Köter vom Hals!“, keifte der Killer entnervt. Doch Mateo lächelte nur schmerzverzerrt. Da schnellte Cato erneut auf den Fremden zu, warf ihn um und begrub ihn unter sich. Blitzschnell legten sich die muskelstrotzenden Kiefer des Hundes um die Kehle des Mannes. Fragend schaute Cato seinem Herrn in die Augen. „Nein, nicht nötig, Cato.“ Mateo klopfte dem Fremden mit dem Pistolenknauf auf den Kopf und fesselte ihn. Dann griff er seinen Koffer und das Geldpäckchen.

„Los Cato. Ab in den Fiat. Jetzt hilft nur noch schnell sein und beten.“

Am selben Tag erhielt die Polizei eine anonyme Einbruchsmeldung. Als die Streife den Tatort erreichte, fanden die Polizisten einen der gefährlichsten Mafiakiller Europas vor; gefesselt und völlig verwirrt. Seine Taschen waren vollgestopft mit Informationen über den Dortmunder Mafiapaten Silvio.

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